«Denkmäler haben grundsätzlich kein Nachhaltigkeitsproblem»

    Baudenkmäler sind Zeugen unseres kulturellen Erbes. Der Kanton Aargau erforscht, inventarisiert, schützt, pflegt und sichert sie in ihrem gewachsenen Zusammenhang. Im Interview erklärt Heiko Dobler von der kantonalen Denkmalpflege, was der Schutz von Gebäuden für Kanton, Eigentümer und unsere Gesellschaft bedeuten und wie Nachhaltigkeit aus denkmalpflegerischer Sicht gelebt und realisiert wird.

    (Bild: Kantonale Denkmalpflege Aargau) Nicht verhindern, sondern ermöglichen: Die Kantonale Denkmalpflege trägt täglich zum Klimaschutz bei, indem sie dafür besorgt ist, dass geschützte Bauten über weitere Generationen genutzt und erhalten werden können. Hier auf dem Bild: Fassadenrestaurierung und Dachausbau eines Altstadthauses mit Fassadenmalerei aus dem 16. Jahrhundert in Klingnau.

    Wie viele kantonale Schutzobjekte gibt es im Kanton Aargau?
    Heiko Dobler: Zurzeit sind das etwas über 1’500 Schutzobjekte. Dazu gehören aber auch diverse Kleinobjekte wie Wegkreuze, Grenzsteine, Wirtshausschilder etc. Gemessen am gesamten Gebäudebestand entspricht das einem verschwindend kleinen Anteil von weniger als einem halben Prozent.

    Was tut die Denkmalpflege genau und warum braucht es sie?
    Die Kantonale Denkmalpflege engagiert sich für das baukulturelle Erbe und setzt sich dafür ein, dass dieses für heutige und zukünftige Generationen nachhaltig gesichert und erhalten wird. Sie berät Bauwillige, Planende, Behörden und Ausführende im Umgang mit Schutzobjekten, erforscht und inventarisiert Baudenkmäler und stellt Fachwissen und Finanzhilfen zur Verfügung. Zudem fördert die Kantonale Denkmalpflege das Verständnis für historische Baukultur in der Öffentlichkeit im Rahmen von Führungen und Vorträgen.

    Was wird überhaupt unter Schutz gestellt?
    Die Typologie der Baudenkmäler ist sehr vielfältig. Im Kulturgesetz ist geregelt, dass Kulturgüter als Schutzobjekte in Frage kommen, wenn ihre Erhaltung als Zeugnis und Ausdruck einer historischen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, baukünstlerischen, handwerklichen oder technischen Situation im Interesse der Öffentlichkeit liegt oder wenn Baudenkmäler zusammen mit Landschaft oder Siedlung eine Einheit bilden und dadurch ihre Erhaltung im Interesse der Öffentlichkeit liegt. Das kann für die klassische Kirche im Dorf genauso zutreffen, wie für eine Fabrikhalle oder ein authentisch überliefertes Kleinbauernhaus.

    Der Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen der Menschheit. Das Bauen und die Nutzung des Gebauten tragen massgeblich zum Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoss bei. Der Bundesrat hat 2019 entschieden, dass die Schweiz per 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen soll. Eine hohe und nachhaltige Baukultur vermag einen wichtigen Beitrag an die Klimaziele zu leisten. Kann die Denkmalpflege zum Kilmaschutz etwas beitragen?
    Sie trägt täglich dazu bei, indem sie dafür besorgt ist, dass geschützte Bauten über weitere Generationen genutzt und erhalten werden können. Im Wissen, dass rund 80 Prozent des anfallenden Abfalls unserer Gesellschaft Bauschutt ist, sollte man sich in Anbetracht der grauen Energie und der Ressourcen öfter die Frage stellen, ob man bestehende Bauten nach wenigen Jahrzehnten schon wieder abrechen soll – unabhängig, ob diese geschützt sind oder nicht. Wenn man zudem bedenkt, dass die meisten Baudenkmäler handwerklich aus natürlichen Materialien geschaffen sind und oftmals über Jahrhunderte unsere Kulturlandschaft prägen, haben diese Bauten gewiss kein Nachhaltigkeitsproblem. Um noch besser zu werden, sind aber energetische Verbesserungen auch am Baudenkmal selten ein Problem. In interdisziplinärer Zusammenarbeit finden sich meist gute Lösungen, auch wenn es Kompromisse zu finden gilt.

    Solaranlagen auf geschützten Häusern sind ein heisses Thema. Wie hoch sind die Hürden?
    Zumindest an kantonal geschützten Baudenkmälern sind Solaranlagen nicht möglich. Es bestehen Ausnahmen, wenn ein Dach für die Wirkung des Denkmals gar nicht so wichtig ist (es gibt auch kantonale Schutzobjekte mit Flachdach). Bei den meisten Denkmälern ist das Dach aber genauso wichtig wie die Fassade – teils sogar noch prägender. Zudem ist auch die materielle Authentizität beim Denkmal von grosser Bedeutung – beim Dach betrifft dies zumeist die Ziegel. Ein Dach gibt je nach Form, Material und Gestalt Auskunft über Typologie, Baustil und zeitliche Stellung eines Denkmals. Es ist weit mehr als ein Deckel, der nur da ist, damit es nicht reinregnet – oder mit dem man Strom produzieren kann.

    (Bild: Kantonale Denkmalpflege Aargau) Künstlerhaus Boswil: Umbau eines traditionellen Aargauer Bauernhauses zu einem Musikerhaus.

    Wie stark schränken die Auflagen des Denkmalschutzes moderne Technologien ein?
    Tatsächlich ist am Baudenkmal mehr traditionelles Handwerk gefragt, als die jüngsten Errungenschaften aus dem Baumarkt. Die Zusammenarbeit mit auf Altbauten spezialisierten Handwerkern ist dabei sehr wichtig, zumal immer noch junge Handwerksleute nachrücken, die mit grossem Engagement und Herzblut sich den althergebrachten Verarbeitungsmethoden und Materialien widmen. Tatsächlich ist man am historischen Bau davon abgekommen, bewährte natürliche Materialien durch die neusten Produkte der Industrie zu ersetzen. Es hat sich gezeigt, dass vermeintlich bessere moderne Baumaterialien in Sachen Nachhaltigkeit den traditionellen Baustoffen bei weitem nicht das Wasser reichen können. Selbstverständlich halten aber auch moderne Technologien im Baudenkmal Einzug – insbesondere bei der Haustechnik, die sich ja laufend entwickelt.

    Was sind die grössten Herausforderungen bezüglich Nachhaltigkeit in der Denkmalpflege?
    Wie schon gesagt, haben die Denkmäler grundsätzlich kein Nachhaltigkeitsproblem. Besser werden darf man natürlich. Ich sehe beispielsweise Herausforderungen in den Altstädten hinsichtlich Wärmeerzeugung. Die Öl-, Gas- und Elektroheizungen sind gewiss angezählt. Gleichzeitig kann man schlecht die Altstadtgassen mit Wärmepumpen zupflastern. Hier gilt es zusammen mit den Betreibern, Gemeinden und Eigentümern intelligente Lösungen zu finden.

    Die Denkmalpflege hat am Stammtisch das Image der Verhinderer. Wie nehmen Sie aus Ihrer Perspektive als Denkmalpfleger die Diskussion um den Klimaschutz und Denkmalpflege wahr?
    Das Bild der Verhinderer zeichnen interessanterweise nach unserer Erfahrung vor allem diejenigen, die noch gar nie mit der Denkmalpflege zusammengearbeitet haben. Auch medial wird es gerne aufgegriffen, wenn wir aus denkmalpflegerischen Gründen zum einen oder andern Vorhaben nein sagen müssen. Das lässt sich leider nicht immer verhindern. Gerade jüngst durfte ich wieder in der Zeitung lesen, dass wir uns im letzten Jahr negativ zu einer PV-Anlage in einer Altstadt geäussert haben. Die Dutzenden von zustimmenden Stellungnahmen, die wir in der Zwischenzeit verfasst haben, scheinen da weniger zu interessieren. Leider wird immer wieder das Bild gezeichnet, dass die Denkmalpflege der Energiewende im Wege steht. Dabei besteht kein Mangel an geeigneten Dächern, eher ein Mangel an intelligenten Strategien. Schon der Prozentsatz von geschützten Bauten macht ja eigentlich deutlich, dass die Dächer unserer Kulturgüter mengenmässig für die Energiewende keine Relevanz haben.

    Hat der Klimaschutz finanzielle Auswirkungen auf den Denkmalschutz, insbesondere auch auf Private?
    Wenn gemeint ist, ob die Klimadebatte Auswirkungen hat auf die Denkmalpflege, dann ja. In dem Sinne, dass wir erhebliche Ressourcen zur Beantwortung der zahlreichen Anfragen hinsichtlich PV-Anlagen aufwenden müssen. Auf private Eigentümer, die im Umfeld eines Denkmals eine PV-Anlage installieren möchten, kann es finanzielle Auswirkungen haben, wenn besonders gut gestaltete Anlagen gefordert sind, zumal diese momentan noch teuer und auch weniger effizient sind. Deshalb: die richtige Anlage auf dem richtigen Dach am richtigen Ort.

    Wie viele neue Gebäude werden pro Jahr im Aargau neu unter Denkmalschutz gestellt?
    In den vergangenen 20 Jahren wurden knapp 160 Unterschutzstellungen vollzogen. Dazu gehören aber auch Schutzergänzungen oder Schutzpräzisierungen. Grob gesagt, kann man sagen, dass im Schnitt ca. 8 Objekte pro Jahr hinzukommen, wobei das von Jahr zu Jahr recht unterschiedlich sein kann. Zumeist stellen wir die Objekte auf Antrag des Eigentümers unter Schutz und können daher die Anzahl Unterschutzstellungen nicht aktiv steuern. In Anbetracht der jedes Jahr neu entstehenden Dächer von Neubauten, sinkt der Prozent – oder besser Promillesatz von geschützten Ziegeldächern aber ins Vernachlässigbare. Die Energiewende wird also ganz gewiss nicht an den Baudenkmälern scheitern.

    Wie viele energetische Sanierungen an Denkmal geschützten Bauten werden im Aargau jährlich gemacht?
    Hierzu besteht keine Statistik. Alltäglich sind aber der Wechsel von Heizungsanlagen, das Dämmen von Dachstühlen oder Estrichböden, die energetische Ertüchtigung von Fenstern etc. Beinahe bei jeder grösseren Renovation wird Potenzial zur energetischen Verbesserung gefunden – das ist für uns gelebter Alltag und steht selten in Konflikt mit dem Denkmalschutz.

    Welchen Stellenwert hat die Denkmalpflege heute?
    Es gibt einen gesetzlichen Auftrag, den die Denkmalpflege im Interesse der Öffentlichkeit zu erfüllen hat. Wenn man unserem kulturellen Erbe eine Bedeutung beimisst, was ich sehr hoffe, braucht es auch die Denkmalpflege. Baukultur leistet einen identitätsstiftenden Beitrag und bildet damit eine wichtige gesellschaftliche Ressource. Es bleibt aber ein steter Prozess zur Sensibilisierung für den Wert unseres Kulturerbes. Da sowohl Klima- wie Denkmalschutz nachhaltige Prozesse sind, bedaure ich, dass man diese gegeneinander auszuspielen versucht.

    Interview: Corinne Remund


    Kantonale Denkmalpflege

    Die Kantonale Denkmalpflege engagiert sich für das baukulturelle Erbe und setzt sich dafür ein, dass dieses für heutige und zukünftige Generationen nachhaltig gesichert und erhalten wird. Sie berät Bauwillige, Planende, Behörden und Ausführende im Umgang mit Schutzobjekten, erforscht Baudenkmäler und stellt Fachwissen und Finanzhilfen zur Verfügung. Zudem fördert die Kantonale Denkmalpflege das Verständnis für historische Baukultur in der Öffentlichkeit.

    www.ag.ch/denkmalpflege

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