2xJA zu lebendigen Böden und gesunden Lebensmitteln

    Die Situation ist dramatisch, da gibt es nichts schönzureden. Überhöhte Pestizidfrachten in fast allen Oberflächengewässern und im Trinkwasser aus intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen. Ein extremer Rückgang der Insektenpopulationen und Vogelarten im Landwirtschaftsgebiet in den vergangenen 20, 30 Jahren. Europaweit rekordhohe Emissionen des Umweltgiftes Ammoniak aus unseren überhöhten, von Futtermittelimporten abhängige Tierbestände: Die Schweizer Landwirtschaft ist entgegen den Beteuerungen von Bauernverband und Landwirtschaftsminister alles andere als enkeltauglich. Zugleich ist sie mit ihrer überintensiven Produktion in eine extreme Auslandabhängigkeit geraten. Nicht nur bei den Futtermitteln, bei den Pestiziden, beim Saatgut… Um eine Nahrungsmittelkalorie zu produzieren werden zwei Energiekalorien aus dem Ausland importiert. Dies ist das Gegenteil einer produzierenden Landwirtschaft und alles andere als ökologisch.

    (Bild: pixabay) Feldgrillen mögen pestizidfreie Landwirtschaft

    Schuld an diesen Irrwegen sind nicht die Bauern, welche sich angetrieben vom Bauernverband und der Agrarindustrie panisch gegen die zwei Initiativen wehren, sondern jene, welche ihnen Angst einflössen. Wir Schweizer haben uns vor 25 Jahren die Ziele für die Landwirtschaft in die Verfassung geschrieben. Diese wurden bisher nicht annähernd erreicht. Selbst das Umweltrecht wird im grossen Stil nicht eingehalten. Doch weder der Bundesrat noch das Parlament waren bereit, wirklich zu handeln. Am 13. Juni liegt die Zukunft der Landwirtschaft erneut in unseren Händen. Die beiden Agrarinitiativen wollen wichtige Weichenstellungen zur Verbesserung einleiten. Sie sind nicht extrem – extrem und unverantwortlich wäre ein Weiterwursteln wie bisher.

    Pestizide als Spitze des Eisberges
    Im Kanton Aargau sind die meisten Gewässer im Landwirtschaftsgebiet übermässig mit Pestiziden aus der Landwirtschaft belastet. Schweizweit trinken mehr als eine Million Menschen Trinkwasser, das über dem gesetzlichen Grenzwert mit Pestiziden belastet ist – im landwirtschaftlich besonders intensiv genutzten Mittelland dürften es weit über die Hälfte der Bevölkerung sein. Bei den Oberflächengewässern werden die Grenzwerte gemäss Studien der Eawag gar verbreitet um einen Faktor zehn bis dreissig überschritten. Besserung im Pestizid-Desaster ist nicht in Sicht, im Gegenteil: es dürften noch unzählige Altlasten auf uns warten, wie Wasserfachleute prognostizieren. Denn Pestizide bleiben oft Jahrzehnte im Boden, bis sie mit ihren Hunderten von teilweise hochgiftigen Abbauprodukten, die bis heute gar noch nicht alle bekannt sind, ins Grundwasser sickern. Die von Bundesrat und Parlament versprochenen Massnahmen sind weit davon entfernt, dieses Problem wirklich zu lösen. Die Initiativen setzen dagegen bei den richtigen Hebeln an.

    Ja, wir können es!
    Innovativen Bäuerinnen und Bauern ist klar, dass es geht. Tausende produzieren schon heute erfolgreich und wirtschaftlich pestizidfrei und nach den Vorgaben der Trinkwasserinitiative. Der Bauernverband dagegen setzt in engster Zusammenarbeit mit der Agroindustrie, die an der heutigen umweltschädigenden Landwirtschaft jedes Jahr Milliarden umsetzt, weiterhin auf eine industrieabhängige Landwirtschaft – auf Kosten der Steuerzahler, der Bodenfruchtbarkeit, der Umwelt und letztlich der Bauern. Es ist höchste Zeit, diese Sackgasse zu verlassen.

    «Wir müssen den Goodwill der Bevölkerung gegenüber der Landwirtschaft zurückgewinnen»
    Ich argumentiere hier nicht nur als Bürger, der Anrecht auf gesetzeskonform sauberes Trinkwasser hat und der als Gegenleistung für die Milliarden an Steuergeld endlich eine enkeltaugliche Landwirtschaft fordert. Ich argumentiere für ein Ja aus bäuerlicher Sicht.

    Als Unternehmer aus der Landwirtschaft bin ich überzeugt:
    Wir Bäuerinnen und Bauern müssen uns aus dem agrarpolitischen Stillstand befreien. Entscheidend für unsere wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten ist, dass wir die Lösung der immensen Umweltprobleme endlich energisch angehen. Nur so können wir die Glaubwürdigkeit und den Goodwill der Bevölkerung gegenüber der Landwirtschaft und damit die hohe Zahlungsbereitschaft mit Steuern und im Laden erhalten und damit unsere wirtschaftliche Existenz sichern.

    Verletztes Umweltrecht statt ökologische Leistungen
    Die Schweizer Landwirtschaft hat in den letzten 15 Jahren kein einziges der 13 Umweltziele Landwirtschaft erreicht. 50 Milliarden Franken investierten die Schweizer Steuerzahlenden in den letzten 15 Jahre in die Landwirtschaft. Die Gegenleistung – eine ökologische Landwirtschaft, die zumindest das Umweltrecht einhält – wurde nicht erbracht. Das ist eine auch eine Ungerechtigkeit gegenüber anderen KMU, welche Umweltauflagen frag- und klaglos und ohne Direktzahlungen einhalten müssen.

    Beispiel Ammoniakgas, eines der übelsten Umweltgifte aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung mit den oft massiv überhöhten Tierbeständen. Die Schweiz weist europaweit die zweithöchsten Emissionen auf. Sie liegen regional ein Mehrfaches über den gesetzlichen Grenzwerten. Ammoniak ist ein Hauptgrund für den Rückgang der Biodiversität und für zu hohe Düngerfrachten in unseren Gewässern. Während andere Länder beim Ammoniak grosse Fortschritte machten, bleibt die unhaltbare Situation in der Schweiz seit 20 Jahren unverändert bestehen. Über das beschämende Resultat monatelanger Verhandlungen berichtete Nationalrat Matthias Jauslin in der letzten Umweltzeitung.

    Der Kurswechsel ist dringend weil:

    1. Eine Nahrungsmittelproduktion nach den Vorgaben der Initiativen funktioniert bereits heute in der Schweiz. Unzählige Landwirtschaftsbetriebe, nicht nur die meisten Biobetriebe, machen dies vor. Die Angstmacherei der Gegner ist einer Demokratie unwürdig. Sie entbehren zum Grossteil jeglicher Faktenbasis (vgl. Faktenchecks von Vision Landwirtschaft oder 4aqua).
    2. Die Trinkwasserinitiative verbietet nichts, die Bauern bleiben frei. Wer weiterhin auf eine überintensive, die Umwelt übermässig belastende Produktion setzen will, kann dies, erhält aber keine Unterstützung mehr vom Staat. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die gemäss Verfassung Art. 104 längst Realität sein müsste.
    3. Es steht der Landwirtschaft nicht weniger Steuergeld zur Verfügung, aber das Geld wird endlich konsequenter an Leistungen und Fortschritte im Umgang mit Umwelt und gesunde Nahrung gekoppelt. Die für die Landwirtschaft schädlichen Pauschalzahlungen, welche heute den Grossteil der Direktzahlungen ausmachen, werden weitgehend eliminiert. Das ist ein längst fälliger, bisher immer verhinderter Schritt.
    4. Es gibt ohnehin keinen anderen Weg, um die politisch vereinbarten gesellschaftlichen Ziele im Bereich Umwelt und Klima zu erreichen. Eine Umsetzung der Trinkwasserinitiative allein reicht noch nicht, ist aber ein wichtiger erster Schritt.

    Die letzten beissen die Hunde. Lassen wir weitere Untätigkeit nicht mehr zu. Legen wir zugunsten unserer Landwirtschaft zwei Mal ein unternehmerisches Ja in die Urne und setzen so ein klares Zeichen: Es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel in der Agrarpolitik!

    Andreas Bosshard


    (Bild: zVg)

    Andreas Bosshard ist Saatgut- und Obstproduzent im Kanton Aargau. Als Inhaber eines KMU, das ein Saatgut-Produktionssystem in den EU-Raum exportiert, und als Geschäftsführer der Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft setzt er sich seit über 20 Jahren für eine enkeltaugliche Landwirtschaft ein. Ein sorgsamer Umgang mit Böden, Biodiversität, Gewässern, und Tieren ist essenziell, damit wir auch in Zukunft in unserem Land genügend und gesunde Nahrungsmittel produzieren können. Wenn wir die Umweltprobleme weiter vor uns herschieben, werden die Bürger/innen in Zukunft kaum mehr bereit sein, die Bauernbetriebe mit so viel Steuergeldern zu unterstützen und unsere Produkte zu fairen Preisen kaufen. Nach 15 Jahren Blockade bieten die beiden Agrarinitiativen die Chance, in der Agrarpolitik endlich einen wichtigen Schritt voranzukommen.

    Vorheriger ArtikelDer Weg zu den begehrten Umwelt-Jobs
    Nächster ArtikelDie Schweiz ist beim Umweltschutz Weltspitze